Digitalisierung und Transformation erfolgreich gestalten

„Gute Change-Projekte brauchen Ehrlichkeit und das Vertrauen in die Führungskräfte“

von Dirk Otten am 22.06.23 18:43
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Max Meister von Ludwig Meister im zweiten Gespräch

Vor zwei Jahren sprachen wir erstmals mit dem Inhaber und Geschäftsführer der Ludwig Meister GmbH & Co. KG über die Innovationen und Veränderungen des 80 Jahre alten Familienunternehmens auf dem Weg zur agilen, datengetriebenen Organisation. Jetzt haben wir nachgefragt, welche Erfahrungen er seitdem gewonnen hat. 

Zur Person

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Max Meister ist Inhaber und Geschäftsführer der Ludwig Meister GmbH & Co. KG, ein mittelständischer Großhändler und Dienstleister für Antriebstechnik und Experte für Werkzeug- und Fluidtechnik. Als „Produktionsverbindungs-Handel“ managt das KMU die Supply Chain für Instandhaltungs- und Herstellungsbetriebe in der Industrie.

Das Unternehmen ist seit 80 Jahren in Familienbesitz und hat sich alle 20 Jahre signifikant verändert. Gemeinsam mit seiner Schwester Elisabeth Meister treibt der studierte Maschinenbauer die aktuelle Restrukturierung voran – immer dem Motto folgend: „Besiege Dich jede Woche wieder“.

 

Wenn Du auf die vergangenen zwei Jahre seit unserem ersten Interview im April 2021 zurückblickst, was hättest Du gern früher gewusst?

MAX MEISTER Ich hätte gern früher gewusst, wie ich das Thema „Change“ gut angehe und umsetze. Das hätte uns bei dem einen oder anderen Thema, wie wir uns organisieren und zusammenarbeiten, geholfen. Trotz aller Umwege kann ich jetzt aber sagen: Es hat sich gelohnt, ich genieße die heutige Art der Zusammenarbeit sehr.

 

Die größte Errungenschaft ist, dass sich viele Sachen nicht mehr auf die Geschäftsführung konzentrieren, sondern die Verantwortung verteilt ist

 

Was zeichnet Eure heutige Zusammenarbeit aus?

MAX MEISTER Wir arbeiten mit der Methode „Objectives and Key Results“ (OKR), daran richten wir alles aus: wie wir Projekte planen, wie wir Budgets machen, wie wir Strategien ausarbeiten. Das funktioniert mittlerweile auf einem tollen Niveau. Aus Sicht des Unternehmers ist die größte Errungenschaft dabei, dass sich viele Sachen nicht mehr auf meine Schwester und mich als Geschäftsführung konzentrieren, sondern die Verantwortung verteilt ist. Denn durch die intensive, grundsätzliche Planung im Rahmen von OKR weiß wirklich jeder, was wichtig ist. Das ist ein großartiges Gefühl. 

 

Zentral für den Erfolg ist, dass wir grundsätzlich geklärt haben, was die Prioritäten und die strategischen Ziele sind

 

Nach zwei Jahren Erfahrung mit OKRs als Strategie- und Planungstool: Was hat sich in der Praxis bewährt? Was habt Ihr über Bord geworfen? Was habt Ihr ergänzt? 

MAX MEISTER Generell sind wir auf einen Vier-Monats-Rhythmus gegangen, um regelmäßig die für diesen Intervall vereinbarten Ziele und Ergebnisse zu prüfen, zu justieren oder neu aufzusetzen. Auf einer Ebene darüber haben wir sogenannte Midterm Goals (Moals) ergänzt, die sich auf Ziel-Zeiträume von zwölf bis 18, manche sogar von 24 Monaten beziehen.

Zentral für den Erfolg ist, dass meine Schwester und ich grundsätzlich geklärt haben, was die Prioritäten und die strategischen Ziele sind. Die bespielen wir und bearbeiten sie im Detail mit unserem Geschäftsleitungsteam. Wenn das steht, dann kann man erst die konkreten Moals und auf der finalen Ebene die OKR-Sets entwickeln, die darauf einzahlen.

Diese Methode zwingt uns, über die strategischen Ziele nachzudenken, Transparenz zu schaffen und zu bewerten, ob das, was wir vor einem halben Jahr für wichtig gehalten haben, auch wirklich das Wichtigste für das nächste Trimester ist. Das ist ein zentraler Grund, warum wir in so vielen Bereichen so gut vorwärtskommen. Ich bin extrem zufrieden.

 

Wir bieten unseren Mitarbeitern eine 50-Prozent-Quote für Remote-Work. Ohne die OKR-Methode wäre das vollkommen unmöglich

 

Was hat sich für Eure MitarbeiterInnen dadurch geändert?

MAX MEISTER Wir bieten heute in allen Jobs, wo es geht, eine 50-Prozent-Quote für Remote-Work. Ohne die OKR-Methode wäre das vollkommen unmöglich: Wir haben viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zuhause oder irgendwo sitzen, und ohne dieses Strategie- und Planungstool wüssten die nicht genau, was in der Woche wichtig ist.

Wir haben momentan 40 OKR-Sets, die für alle 300 Mitarbeiter den Fokus verbindlich vorgeben. Durch die viermonatigen Intervalle sehen alle Beteiligten schnell, was sie erreicht haben und das macht tatsächlich Spaß. Klar, es ist auch anstrengend. Aber weil es eben sehr zielgerichtet ist und man die Themen wirklich voranbringt, bringt die Arbeit damit viel Erfüllung.

 

Was ist aus Deiner Vision geworden, mithilfe der Digitalisierung eine reibungslose Versorgungskette für Eure Kunden zu realisieren?

MAX MEISTER Das ist bis heute unsere Vision, die wir konsequent verfolgen, und sicher einer der Gründe für unsere gute betriebswirtschaftliche Lage: Wir haben letztes Jahr zehn Prozent pünktlicher geliefert – und das trotz der schwierigen Situation rund um die Lieferketten!

Das eine sind Einkauf und Logistik, das andere aber sind Analytics und Ideen, wie ich einen Mehrwert für den Kunden umsetze. Wir haben zum Beispiel eine Dienstleistung entwickelt, mit der wir automatisiert für Kunden, die regelmäßig bei uns einkaufen, berechnen, wann der Artikel in der Supply Chain leer geht. Ich hoffe, dass wir mit solchen Entwicklungen in Zukunft eine noch wichtigere Rolle rund um das Thema Supply-Chain-Optimierung für unsere Kunden spielen können.

 

Mit Blick auf eine reibungslose Versorgungskette, welche Rolle spielt dabei die Anbindung Eures Webshops an das ERP-System Eurer Kunden? Du hast vor zwei Jahren gesagt, wenn Geld keine Rolle spielen würde, würdest Du ein One-Click-EDI-System entwickeln, mit dem sich jeder Kunde mit einem Click selbstkonfigurierbar bei Euch anbinden kann. 

MAX MEISTER Wir haben in dem Bereich viel gemacht und mittlerweile einen Mitarbeiter, der sich schwerpunktmäßig um das EDI-Thema kümmert. Zurzeit machen wir etwa 40 Prozent unserer Positionen über EDI und die Zahl steigt. Parallel haben wir zusammen mit der Telekom eine Software gebaut, die automatisiert PDFs in Angebote und Aufträge umwandelt, sodass wir auch da die Supply Chain und die Kommunikation für Kunden digitalisieren, die nicht so viel kaufen und für die EDI deshalb nicht interessant ist, das sich ja hauptsächlich an Kunden in einer Größenordnung von 30.000 Euro Jahresumsatz aufwärts richtet.

 

Und dieses Projekt wurde auf der Jahreshauptversammlung der Telekom erwähnt! 

MAX MEISTER Ich habe das gar nicht gewusst, bis ein Mitarbeiter mir das Video zugeschickt und gesagt hat: „Schau mal, das ist sehr cool." Das hat mich überrascht, aber das war auch ein tolles Projekt.

 

Die Kreislaufwirtschaft hat noch sehr viel Potenzial, zusammen mit Kunden Neues zu entwickeln, was wirklich „Out of the Box“ ist

 

Kreislaufwirtschaft ist ein großes Thema auf Podien und Kongressen, so auch neulich auf dem Materialflusskongress 2023. Welche Rolle spielt dieser Aspekt in der Praxis für Eure Kunden und Euer Geschäft?

MAX MEISTER Das Thema Kreislaufwirtschaft gehen wir in einigen Bereichen an, zum Beispiel im Bereich Hartmetallschrott. Das heißt, Hartmetallprodukte wie Wendeschneidplatten, die wir an unsere Kunden verkaufen, werden an uns wieder zurückgeschickt. Wir sammeln das und geben es wieder an die Hersteller weiter, die es einschmelzen und neue Werkzeuge daraus bauen.

Wichtig ist auch das Thema Vermeidung von Verpackungsmüll: Wir verkaufen und verschicken Produkte nicht in Einmalverpackungen, sondern in Mehrwegverpackungen, die wieder an uns zurückgehen.

Wenn ich uns eine Note geben sollte, dann wäre das aber eher eine Drei bis Vier, weil ich glaube, dass es hier noch sehr viel Potenzial gibt, zusammen mit Kunden Neues zu entwickeln, was wirklich „Out of the Box“ ist.

 

Wenn es um die konkreten Pläne geht, was wir erreichen wollen, ist es wichtig, dass man den „Sense of Urgency“ wirklich formuliert

 

Ihr seid ein Unternehmen, das mit Dir und Deiner Schwester als treibenden Köpfen in puncto Transformation in unserer Wahrnehmung eine deutlich höhere Schlagzahl fährt als andere Unternehmen. Wie schafft Ihr es, Eure Veränderungsvorhaben im Unternehmen zu verwirklichen? Was können andere Firmen für ihre eigenen Veränderungsvorhaben von Euch lernen? 

MAX MEISTER Wir haben zwar nicht Change Management studiert, aber wir versuchen, die Projekte sinnvoll aufzustellen. Alle Projekte entwickeln sich aus unserer Strategie heraus. Wenn es dann um die konkreten Pläne geht, was wir erreichen wollen, ist es wichtig, dass man den „Sense of Urgency“ wirklich formuliert. Was ist wichtig? Warum machen wir das? Was passiert, wenn wir es nicht machen? Das muss man offen kommunizieren und mit allen Menschen, die betroffen sind, sprechen und versuchen, einen sinnvollen Plan zu erstellen. Und man muss bereit sein, diesen Plan immer wieder anzupassen: Wenn wir feststellen, dass sich von vier Hypothesen, die zu Beginn eines Change-Projekt formuliert wurden, eine nicht bewahrheitet, dann muss man den Plan anpassen und noch einmal einen Schritt zurück machen und sagen: „Ah, das haben wir uns anders erhofft.“ Diese Offenheit ist unerlässlich.

Dann muss man kontinuierlich und sehr beharrlich dranbleiben. Change Projekte dauern lange. Manche dauern Jahre. Das überfordert zwischendrin viele, und dafür muss man Verständnis haben.

Ein gewisses Handwerk gehört auch dazu: In den 80er Jahren hat John P. Kotter "Leading Change" geschrieben. Da wird Change Management als acht aufeinander folgende Schritte beschrieben und beim ersten Change-Projekt bin ich bei Schritt fünf eingestiegen. Das ist nicht so schlau. Es gibt grundsätzliche Ansätze und Vorgehensweisen, die man lernen kann, und wenn man ein paar Projekte gemacht hat, dann hat man auch nicht mehr so Berührungsängste.

 

Alle müssen wissen und verstehen, dass man einen Plan mit Milestones hat, aber den Plan immer vor jedem Schritt überdenkt und prüft, ob alles noch passt und wenn nicht, die Dinge ändert

 

Was würde ich anderen darüber hinaus mitgeben? Wichtig ist, dass man einen groben Plan macht, den mit allen Beteiligten bewertet und nach dem Start regelmäßig daran arbeitet, was im nächsten Intervall das Wichtigste ist. Im Rahmen eines Projektes dachten wir zum Beispiel, das Wichtigste wären Schulungen im Bereich Produktwissen. Aber dann stellte sich heraus, dass wir im Alltag das viel größere Problem haben, dass die Kollegen gar nicht wissen, wie sie den Artikel im ERP finden. Das hat nichts mit Produktwissen zu tun, sondern mit dem Wissen, wie ich im System suche. Da braucht es die Ehrlichkeit zu sagen: „Okay, dann stoppen wir die Schulungen. Lasst es uns bitte drei Wochen überlegen. Wir verändern das.“ Alle müssen wissen und verstehen, dass man einen Plan mit Milestones hat, aber den Plan immer vor jedem Schritt überdenkt und prüft, ob alles noch passt und wenn nicht, die Dinge ändert. 

 

Was ist Deiner Erfahrung nach die größte Hürde, Change-Vorhaben erfolgreich umzusetzen? 

MAX MEISTER Da kann ich nicht eine große Hürde benennen. Zum einen sind es mit Sicherheit eingefahrene Arbeitsweisen, inklusive die von mir. Zum anderen hindert einen die hohe Arbeitslast, Neues in den Arbeitsalltag zu integrieren, weil man unter Druck immer wieder in alte Muster zurückfällt. Wenn ich ein Computerprogramm beherrsche und plötzlich ein neues lernen muss, um zukunftsfähig aufgestellt zu sein, erwische ich mich trotzdem, wenn es schnell gehen muss, dass ich das alte CAD-Programm hernehme, damit ich schneller fertig bin. Wenn viel Druck da ist, wird es schwierig.

 

Nur weil der Chef einmal sagt, so oder so ist es, heißt das ja gar nichts. Das Neue muss Tag für Tag gelebt und vorgelebt werden 

 

Warum schafft Ihr es dann trotzdem, Transformation umzusetzen?

MAX MEISTER Weil wir einen Vertrauensvorschuss in der Organisation haben, dass wir nichts machen, was verrückt ist und weil uns, glaube ich, viele der Kolleginnen und Kollegen grundsätzlich vertrauen.

Und wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, die beharrlich an den Themen dranbleiben und auf die wir uns absolut verlassen können. Nur weil der Chef einmal sagt, so oder so ist es, heißt das ja gar nichts. Das Neue muss Tag für Tag gelebt und vorgelebt werden. Und wenn Probleme auftauchen, dann nehmen sich unsere Führungskräfte dem an.

In Summe gesehen gelingt Change uns ganz gut, weil wir das schon lange machen, erfolgreich damit sind und dadurch mehr Fürsprecher haben als Kollegen, die sagen: „Was ist das schon wieder für eine Sau, die sie durch das Dorf treiben?“

 

Was ist für Ludwig Meister die größte Herausforderung für die nächsten Jahre? 

MAX MEISTER Die große Aufgabe für die Zukunft ist mit Sicherheit Personalentwicklung über alle Ebenen, weil es viele Themen für die gesamte Organisation zu lernen gibt – wie wir arbeiten, welche Tools wir benutzen und welches Wissen wir brauchen. Also Personalentwicklung vernetzt mit Wissensmanagement, Schulungen und Erwartungsmanagement.

Ich will, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter weiß, was von ihr und von ihm erwartet wird, und dass wir den MitarbeiterInnen alles Nötige dafür beibringen. Das ist mein Wunsch. 

 

Max Meister ist auch Podcasthost der supplychainhelden.de Hier klicken zum  Reinhören

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